Bundesverwaltungsgericht entscheidet Streitfrage im ÖPNV durch Revisionsurteil

Kein Anspruch auf Erlass einer allgemeinen Vorschrift

Der ÖPNV-Aufgabenträger (AT) hat die Wahl, ob er von ihm vorgeschriebene und für Verkehrsunternehmen nicht auskömmliche Verbundtarife über den Erlass einer allgemeinen Vorschrift oder einen öffentlichen Dienstleistungsauftrag ausgleicht.

In diesem Sinne lautet der (hier gekürzte) Leitsatz, mit dem das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) seine Pressemitteilung zu seinem Revisionsurteil vom 10.10.2019 (BVerwG 10 C 3.19) einleitet.

Die hiermit nun höchstrichterlich entschiedene Rechtsfrage klärt in juristischer Hinsicht eine vielerorts geführte Auseinandersetzung zwischen den Akteuren des straßengebundenen ÖPNV in Deutschland, die Gegenstand einer Reihe weiterer (derzeit bei den Instanzgerichten anhängiger) verwaltungsgerichtlicher Streitverfahren ist.

Namentlich Unternehmen des privaten Verkehrsgewerbes verfolgen nachdrücklich das Ziel, den rechtlichen Zugang für eine eigenwirtschaftliche Erbringung von Verkehrsleistungen im ÖPNV weitgehend offen zu halten. Unstreitig ist jedoch, dass die die Verkehrsleistungen des ÖPNV erbringenden Verkehrsunternehmen (mindestens in aller Regel) nicht im Stande sind, die – im  öffentlichen Interesse liegende – ausreichende Verkehrsbedienung der Bevölkerung allein durch ihre Fahrgeldeinnahmen etc. – also ohne öffentliche Mittel – zu  finanzieren. Durch die gesetzliche Definition in § 8 Abs. 4 Satz 2 des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) sind Ausgleichsleistungen aus einer allgemeinen Vorschrift (aV) als Einnahmen einer eigenwirtschaftlichen Verkehrserbringung bestimmt. Ausgleichsleistungen aus einem öffentlichen Dienstleistungsauftrag (öDA) führen hingegen zur Gemeinwirtschaftlichkeit der Verkehrsleistung. Bei eigenwirtschaftlichen Verkehren kann der Unternehmer seine Leistungserbringung weitgehend frei unternehmerisch bestimmen, demgegenüber verbleibt dem AT während des Erbringungszeitraums kaum eine Steuerungsmöglichkeit. Dieses ist der Interessenkonflikt, der den wesentlichen Auslöser der rechtlichen Auseinandersetzung bildet.

In der mündlichen Urteilsverkündung hat das BVerwG zur Begründung zunächst auf Artikel 3 Abs. 1 und 2 der VO (EG) 1370/2007 verwiesen. Das Gericht schließt aus diesen Normen, dass europarechtlich den Mitgliedsstaaten im Falle des Tarifausgleichs die Option belassen ist, den Ausgleich auch über die aV vorzusehen.

Im nationalen Recht bestimme § 8 Abs. 4 Satz 1 PBefG den Vorrang eigenwirtschaftlicher Verkehrserbringung im ÖPNV. Der Vorrang greife jedoch nur, wenn durch diesen Verkehr die ausreichende Verkehrsbedienung ermöglicht wird, ist dieses nicht der Fall, ist dem AT die Intervention auf der Grundlage der VO (EG) 1370/2007 eröffnet, der AT kann dann zur Sicherstellung einer ausreichenden Verkehrsbedienung eine aV erlassen oder einen öDA vergeben (§ 8a Abs. 1 Sätze 1 und 2 PBefG). Zwischen diesen Instrumenten könne er im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens frei wählen. Seine Ermessensentscheidung ist auch nicht in Ansehung von Artikel 12 Grundgesetz zu Gunsten der aV vorgeprägt, denn die Wahl des öDA verfolge überwiegende öffentliche Interessen, da mit dieser Handlungsform dem AT zu Gunsten einer ausreichenden Verkehrserbringung ein Mehr an Gestaltungsmöglichkeiten verbleibe als im Falle der aV.

Aus genehmigungsrechtlicher Sicht bleibt im Übrigen zu beachten, dass eine aV bereits im Vorfeld in Bestand gesetzt sein müsse, um Transparenz für alle Bewerber zu ermöglichen. Gleichfalls genehmigungsrechtlich zu erwähnen ist, dass die Nichtbeachtung einer Tarifvorgabe des AT wesentlich im Sinne des § 13 Abs. 2a Satz 5 PBefG ist, denn für die Wesentlichkeit sei hier lediglich vorausgesetzt, dass der AT einen Ausgleich nach der VO leistet, unabhängig davon, ob durch öDA oder aV.

Mit der Fertigstellung der schriftlichen Urteilsfassung rechnet der Senat innerhalb der nächsten sechs bis acht Wochen. Spätestens hiernach könnten sich neue Optionen der Streiterledigung für die weiteren vor den deutschen Verwaltungsgerichten anhängigen (vielfach derzeit ruhend gestellten) Klageverfahren  eröffnen.

Hans-Joachim Hoffmann

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