LNVG-Bereichsleiterin Susanne Wecken im Interview: Herausforderungen bleiben auf hohem Niveau

Frau Wecken, Sie haben sich entschieden, die LNVG Ende des Jahres zu verlassen. Nach gut 26 Jahren Zugehörigkeit, davon viele Jahre als Bereichsleiterin „Verkehrswirtschaft“, überlegen Sie, sich ggf. neuen Herausforderungen zuzuwenden. Hat die LNVG Ihnen solche Herausforderungen nicht mehr bieten können?

Susanne Wecken: Die Aufgaben bei der LNVG bleiben herausfordernd, das ist keine Frage. Die Branche muss sich permanent wandelnden Rahmenbedingungen stellen. Corona ist die aktuellste und sicher nicht die letzte. Auch die Regionalisierung liegt erst 2 bis 3 Verkehrsvertrags-Perioden zurück. Das ist im SPNV nicht wirklich lange. Ob es neue Herausforderungen gibt, denen ich mich zuwenden möchte - das werde ich mit Abstand und in Ruhe überlegen.

Sie sind Agraringenieurin. Die Tätigkeit bei einem der großen deutschen SPNV-Aufgabenträger ist da nicht zwingend bzw. naheliegend. Was hat Sie 1995 motiviert, zur LNVG zu gehen?

Susanne Wecken: Als gebürtiges Landei war der ÖPNV für mich immer Thema und Herausforderung zugleich. Ehrenamtlich war ich sehr früh engagiert im Verkehrsclub Deutschland (VCD). Beim Regionalverkehr Hannover, einem Zusammenschluss von Bahn- und Postbus, habe ich meine ersten Brötchen verdient. Und als dann das Niedersächsische Nahverkehrsgesetz eine neue zentrale Stelle für den ÖPNV in Niedersachsen vorsah, habe ich mich beworben. In meinem Bewerbungsschreiben aus 1995 steht etwas, was meine damalige Motivation gut beschreibt: 

„Die anstehende Regionalisierung und das damit verbundene Beschreiten neuer Wege stellen eine Herausforderung dar, der ich mich gern in einer zentralen Institution, wie es die LNVG künftig sein wird, stellen möchte.“ Zwei Dinge finde ich im Nachhinein spannend:

1. damals habe ich schon die Abkürzung „LNVG“ gebraucht und 2. die Herausforderungen des Beschreitens neuer Wege sind immer noch aktuell.

In Ihrer Funktion bei der LNVG haben Sie sehr früh Pionierarbeit geleistet, die Branche maßgeblich mit geprägt, und die Branche hat Sie geprägt. Was waren rückblickend die für Sie prägnantesten Erfahrungen und Eindrücke - fachlich wie menschlich?

Susanne Wecken: Fachlich auf jeden Fall die sehr dynamische Entwicklung der Regelungen in den Verkehrsverträgen. Wir waren in Niedersachsen mit der Betriebsaufnahme der NordWestBahn die ersten zwischen Flensburg und Passau, bei denen eine „Privatbahn“ gefahren ist und das auch noch mit blau-gelben Zügen. Im Teilnetz Weser-Ems wurden vor über 20 Jahren die ersten Züge von der LNVG finanziert, woraus sich später der erfolgreiche Fahrzeugpool mit heute rund 400 Wagen und Lokomotiven entwickelt hat.

Menschlich war ungemein spannend, wie sich die Zusammenarbeit zwischen den EVU und den Aufgabenträgern durch die Einführung des Niedersachsentarifes und die Gründung der Niedersachsentarif GmbH entwickelt hat – ich finde, ausgesprochen vertrauensvoll und im Sinne der Fahrgäste. Corona hat aktuell offenbart, wo die Stärken aber auch die Schwachstellen in der Zusammenarbeit liegen. Insbesondere, wenn verschiedene Aufgabenträger gemeinsam agieren. Das zu verbessern, dürfte eine der großen Herausforderungen für die nähere Zukunft darstellen.

Die LNVG hat seit 2018 eine weibliche Geschäftsführung, seit 2019 sogar eine weibliche Doppelspitze. Als weibliche Führungskraft waren Sie davor lange Zeit singulär. Wie haben Sie das in Erinnerung? Und verlangt „Führung“ heute andere Kompetenzen als vor etwa 20 Jahren?

Susanne Wecken: Damals waren Frauen in der Verkehrsbranche eine absolute Seltenheit, und die LNVG war da keine Ausnahme. Mittlerweile sind aber nicht nur bei uns, sondern auch in der Branche mehr Frauen unterwegs. Das ist auch gut so. Luft nach oben gibt es immer, auch auf den Führungsebenen.

Führung unterliegt immer einem Wandel - ich sehe mindestens zwei große Herausforderungen. Bei zunehmender Digitalisierung und vermehrtem Homeoffice müssen auch bei eher verwaltungsgeprägten Institutionen Rahmenbedingungen verändert und Qualifizierungen angeboten werden, die Kreativität und Zusammenhalt fördern. Corona ist da ein Brennglas.

Zum anderen sind Fachthemen häufig sehr komplex. Wenn an einer Stelle geschraubt wird, können an anderen Stellen Fehlfunktionen entstehen. Spezialisten und Generalisten müssen Hand in Hand arbeiten. Denn Teamwork ist meines Erachtens gerade in komplexen Feldern alternativlos, wenn man Erfolg haben will.

Die LNVG versteht sich als Bindeglied und Dienstleister für Politik, Landesregierung, Aufgabenträger und Verkehrsunternehmen. Ein solches Leitbild bleibt nicht statisch, es ist dem Wandel der Zeiten und handelnden Personen unterworfen. Haben Sie im Laufe der Jahre und in diesem Kontext relevante Veränderungen beobachtet?

Susanne Wecken: Ja sehr. Früher stand das operative Geschäft im Öffentlichen Nahverkehr politisch nicht im Fokus. Heute ist das anders. Gerade im SPNV, der in Jahrzehnten denkt - ich nenne nur mal Infrastruktur, Werkstätten, Fahrzeuge und Verkehrsverträge -, ist das nicht immer einfach. Politisch wird eher in kürzeren Abständen gedacht, was die Umsetzung langfristiger Konzepte fragil macht. Wo hingeschaut werden muss, ist die immer größer werdende Diskrepanz zwischen Ballungsraum und ländlichem Raum. Die Zeiten, in denen der ÖPNV vorrangig an den Bedürfnissen der Schülerbeförderung ausgerichtet wird, sollten nach meinen Vorstellungen längst der Vergangenheit angehören. Ich komme vom Dorfe und weiß, wie es sich anfühlt, wenn bestenfalls bis 19:00 Uhr und am Wochenende oder in den Ferien gar kein Bus mehr fährt.

In der Corona-Pandemie wird es die früher üblichen Abschiedsfeiern nicht geben. Gibt es etwas, was Sie der LNVG, was Sie Ihren Kolleginnen und Kollegen zurufen bzw. mit auf den Weg geben möchten?

Susanne Wecken: Ganz wichtig finde ich, der Schnelllebigkeit in der heutigen Zeit etwas entgegenzusetzen und sich gerade bei komplexen Aufgabenstellungen auch mal Zeit zu nehmen. Zeit für die Bestimmung von Zielen. Zeit, um auch langfristige Konzepte und Lösungen zu entwickeln. Zeit für das Ringen um die richtige Lösung. Denn wer erst in die falsche Richtung läuft, dem hilft auch keine Verdoppelung des Tempos mehr. Das würde speziell unserer Branche und auch vielen anderen Themen gut tun.

Rainer Peters

Neue Organisation

Ab 1. Januar gibt es im Aufgabenträgerbereich der LNVG eine organisatorische und strukturelle Neuausrichtung. Ergänzend zum Bereich „Verkehrswirtschaft“ wird ein neuer Bereich „Vergabe- und Verkehrsvertragsmanagement“ geschaffen. Leiter wird Ralf Hoopmann, der bisher die Stabsstelle „SPNV-Ausschreibungsmanagement“ verantwortet hat. Die LNVG legt damit die Ausschreibung der Verkehrsverträge und deren vertragsrechtliches Management in einem Bereich zusammen.

Die Hauptaufgaben des neuen Bereiches sind u. a.:

  • strategische Ausrichtung und Weiterentwicklung von SPNV-Vergaben und Verkehrsverträgen der LNVG
  • vertragsrechtliches Management laufender Verkehrsverträge in Zusammenarbeit mit den Fachbereichen Angebot, Fahrzeugmanagement und Verkehrswirtschaft
  • Verhandlungen über Vertragsanpassungen und Nachträge von Verkehrsverträgen
  • Erstellung und Abstimmung von Verwaltungsvereinbarungen mit den beteiligten Nachbaraufgabenträgern

Von dieser Zusammenlegung verspricht sich die LNVG eine noch bessere Verzahnung zwischen Verkehrsvertragsmanagement und der Weiterentwicklung der Ausschreibungen sowie eine Entlastung des Bereichs Verkehrswirtschaft, der in den letzten Jahren eine deutliche Mehrung an Themen und bei der Anzahl der Projekte erfahren hat.

Der Bereich Verkehrswirtschaft wird ab 1. Januar 2022 durch Jörg Kiunke geleitet werden.

Dirk Altwig

Cookies sind für ein korrektes Funktionieren der Webseite notwendig. Außerdem nutzen wir auf dieser Webseite Cookies zur Optimierung der Inhalte mit Hilfe der statistischen Auswertung des Benutzerverhaltens. Klicken Sie auf „Cookies aktivieren", um Cookies zu akzeptieren und die Website zu besuchen. Klicken Sie auf "Cookies deaktivieren", um nur die technisch notwendigen Cookies zu aktivieren.