Der Weg ist das Ziel!

LNVG-Mitarbeiterin Melina Gnisa begleitet Rekordfahrt mit Wasserstoffzug

Hätte mir jemand vor dem Einstieg ins Berufsleben gesagt, dass es zur Arbeit einer Juristin gehören könnte, mit einem Zug einen Weltrekord aufzustellen, hätte ich nur laut gelacht. Aber so eine Fahrt hat sich der Hersteller Alstom vorgenommen: Mit einem Wasserstoffzug, der der LNVG gehört, über 1.000 Kilometer mit nur einer Tankfüllung fahren. Hier mein persönliches Protokoll:

8:50 Uhr, Hannover: Gespannt warten wir von der Landesnahverkehrsgesellschaft (LNVG) am Bahnsteig 11 des Hannover Hbf auf den Wasserstoffzug. Der LINT X, wie er bei der LNVG heißt, soll jeden Moment einfahren. Da … nein, das ist nicht der Wasserstoffzug, sondern ein ICE. Falscher Zug, falsche Fahrtrichtung, Begrüßungsszenen. Eine Frau umarmt ihre Kinder. Der Bahnhof ist ein Ort der Begegnungen. Für uns beginnt hier der absolute Langstreckentest einer innovativen Antriebstechnik. Nur der ICE ist im Weg. Wie lange steht so ein ICE am Bahnsteig? Kann unser Wasserstoffzug pünktlich einfahren? Der Zeitplan ist straff, wir wollen heute noch ans andere Ende Deutschlands. Endlich das Piepen der schließenden Zugtüren, die Ausfahrt des schier endlosen Zuges beginnt.

8:56 Uhr, Hannover: Mein Kollege, Thomas Nawrocki, ruft: „Da ist er!“ Nawrocki, der Bereichsleiter des Fahrzeugmanagements der LNVG, hat das Projekt Wasserstoffzüge in Niedersachsen über 12 Jahre gemanagt. Im August konnten wir den weltweit ersten Regelbetrieb in Bremervörde auf der Strecke Bremerhaven - Cuxhaven - Buxtehude mit dieser alternativen Antriebsform eröffnen. 2023 sollen dort 14 Wasserstoffzüge fahren. So gespannt wie bei der Eröffnung des Regelbetriebs habe ich meinen Kollegen noch nie zuvor erlebt. Heute ist es ähnlich. Seine Augen strahlen, auf dem Gesicht ein breites Lächeln. Und tatsächlich: Langsam und sehr leise fährt der kurze, knallblaue Zug ein. In einem eher rot-weiß geprägten Umfeld, fällt er auf. Auf der Zugspitze ist das Logo „Weltpremiere Wasserstoff“ zu sehen, in der Mitte des Zuges zieren viele „H`s“ und „O`s“ die Karosserie. Die zwei entscheidenden Buchstaben, die uns heute zum Rekord führen sollen.

Es wird hektisch. Wir haben nur vier Minuten bis der Zug ausfahren soll. Für Carmen Schwabl, Sprecherin der Geschäftsführung der LNVG, gerade genügend Zeit um Lokführer Markus Steinbach ein Croissant und einen heißen Kaffee durchs kleine Seitenfenster zu reichen. Schwabl: „Wir drücken fest die Daumen, dass Sie gut durchkommen!“ Wie ich später erfahre, ist das klassische Lockführermenü allerdings ein Kaffee und eine Bockwurst. Das Croissant werde ich an diesem Tag trotzdem nicht mehr sehen, es muss eine gute Alternative gewesen sein.

Jetzt aber schnell: Wir steigen ein. Ich höre vom Bahnsteig noch den Ruf unserer Geschäftsführerin: „Gute Fahrt!“ Diesmal soll dieser Ausruf eine ganz andere Bedeutung haben. Es geht nicht darum ein bestimmtes Ziel zu erreichen, sondern die 1.000 Kilometer Entfernung zu knacken.

Aufwändige Vorbereitung

9:00 Uhr, Hannover: Die Türen schließen und wir stehen in einem der modernsten Züge der Welt – Hightech pur. Mich erinnert das Fahrzeug aber gerade mehr an eine gut gefüllte Vorratskammer. Überall um uns herum Getränkekisten und massenweise liebevoll gepackte Lunchpakete. Alles sehr ungewohnt - ich merke erst gar nicht, wie wir uns sanft in Bewegung setzen.

Auf den Displays an der Decke strahlt bereits eine Zahl: „167 km“! Die Rekordfahrt hat ohne uns in Bremervörde begonnen. Den frühen Start um 6 Uhr morgens konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Ist es nicht sowieso besser, wenn der Zug weniger Gewicht bei sich führt, um mehr Energie für die Distanzfahrt zu haben?

Am Vortrag wurde zehn Stunden lang am Zug gearbeitet: Er wurde mit Filmtechnik (8 Kameras, 2.600 m Kabel und unzähligen Lichtinstallationen) ausgestattet, getankt und letzten Tests unterzogen. Am Morgen ging es dann an der weltweit ersten Wasserstofftankstelle in Bremervörde mit der Distanzfahrt und einem Team von ca. 15 Alstom-Mitarbeitern, Journalisten und Filmtechnikern los.

An der Außenwand der Zugtoilette hängt ein langer Zettel. Dort steht der Fahrplan für den Tag. Lauter Halte: Von Bremervörde geht es über Hannover, Göttingen, Frankfurt, Nürnberg, Regensburg, über Mühldorf zur Endhaltestelle im bayrischen Burghausen um ca. 22:10 Uhr. Andreas Frixen (Produktdirektor für grüne Schienenlösungen, Alstom), erklärt, dass wir höchstens 120 km/h fahren und hauptsächlich Nebenstrecken nutzen werden, um die Gefahr der Wartezeit auf Fern- oder Güterverkehr zu minimieren. Frixen: „Es ist die größte Herausforderung für den Tag, den Zeitplan einzuhalten. Denn, wenn wir uns verspäten, dann passen unsere Einfahrtzeiten in die Bahnhöfe nicht mehr und wir müssten auch dort wieder warten. Die Verspätung baut sich dann ganz schnell immer weiter aus und wenn wir uns nicht bewegen, verbrauchen wir trotzdem Energie, die uns am Ende fehlen könnte.“ Allen Insassen des Zugs schwebt nur eine Frage im Kopf: „Werden wir die 1.000 Kilometer schaffen?“

Interesse online und direkt an der Strecke

14:00 Uhr, 456 Km: Mittlerweile denke auch ich nur noch in Kilometern und vergesse, wo wir eigentlich sind. Übrigens: Die Fahrt wird durch einen Livestream aufgezeichnet, bei dem immer wieder Interviews mit Gästen im Zug geführt werden. In der Zwischenzeit verfolgen uns über 600 Leute über den Stream. Aber nicht nur das: Aus dem Fahrzeugführerstand erkennt man am Streckenrand immer wieder interessierte Leute, die Fotos vom Zug machen.

Der Lokführer auf Rekordfahrt

Lockführer Markus Steinbach zeigt mir den Führerstand und erklärt: „Am liebsten fahre ich zurzeit den Wasserstoffzug. Es ist etwas Besonderes mit dieser innovativen Technik fahren zu dürfen.“ Immer wieder spricht Steinbach mit der Leitzentrale, um uns möglichst ohne Halt voranzubringen. Mittlerweile haben wir die 500 Kilometer geschafft und die Tankanzeige steht auf drei Viertel voll. Steinbach ist mehr als zufrieden, so müsste die Tankfüllung für über 1.000 Kilometer reichen. Aber immer wieder müssen wir kurz warten: Ein Güterzug hat sich „verbremst“ deswegen haben sich kurz vor Frankfurt die Züge gestaut. Eine Überholung durch andere Züge, Störung an einem anderen Fahrzeug, immer wieder kommt es zu Wartezeiten. Mir wird bewusst, wie ausgelastet die Trassen sein müssen. In Frankfurt liegt unsere Verspätung bei rund 30 Minuten.

Das Ziel vor Augen

16:46, 650 km: Während Landschaften und Stadtkulissen an den Fenstern vorbeiziehen, fällt bei den Verantwortlichen zunehmend die Anspannung ab. Die Frage ist nun eher: Wie weit kann es gehen? Reicht die Tankfüllung, um noch die 110 Kilometer von Burghausen nach München zu fahren? Das wird erst der späte Abend zeigen. Plötzlich ertappe ich mich, wie ich hoffe, dass der Zug etwas mehr verbraucht. Denn ich habe mein Hotelzimmer in Mühldorf und nicht in München.

19:48 Uhr, 931 km: Es sieht so aus, dass wir mit der Tankfüllung tatsächlich noch nach München kommen. Es sei denn, es kommt zu einer massiven Streckensperrung. Techniker sind ebenfalls an Bord und überwachen die Parameter der Brennstoffzelle für künftige Optimierungen. Ich erfahre, dass der Zug am nächsten Tag nach Salzgitter geschleppt wird, um tanken zu können. Hier im Süden Deutschlands gibt es bisher noch keine Infrastruktur, die den Tank unseres Zuges füllen kann.

20:49 Uhr, 1.000 km! Bei Michelbach zwischen Landshut und Mühldorf am Inn ist es soweit. Wir haben tatsächlich die 1.000 Kilometer geknackt. Damit ist der Beweis erbracht, dass Wasserstoffzüge genauso flexibel einsatzfähig sind wie herkömmliche Dieseltriebzüge. Diesel ist ersetzbar! Beim kleinen Aufenthalt in Mühldorf werden wir empfangen und gehen trotz Kälte alle raus und lassen uns von DB-Mitarbeitern am Bahnsteig feiern.

Die Fahrt geht noch nach Burghausen und wieder zurück nach Mühldorf. Hier steige ich um 23:30 Uhr und nach 1077 Kilometern aus - völlig übermüdet und erschöpft. Für den Rest der Crew geht es am Abend tatsächlich noch nach München weiter, wo die Anzeige bei „1.175 km“ endgültig stehen bleibt.

Weltrekord mit Wasserstoff. Wahnsinn!

Melina Gnisa

Cookies sind für ein korrektes Funktionieren der Webseite notwendig. Außerdem nutzen wir auf dieser Webseite Cookies zur Optimierung der Inhalte mit Hilfe der statistischen Auswertung des Benutzerverhaltens. Klicken Sie auf „Cookies aktivieren", um Cookies zu akzeptieren und die Website zu besuchen. Klicken Sie auf "Cookies deaktivieren", um nur die technisch notwendigen Cookies zu aktivieren.