"Die Fahrkarte bitte!" – Wie die LNVG dafür sorgt, dass es Tickets an Bahnhöfen und Stationen gibt

Mobiltelefone und PCs sind für immer mehr Reisende der eigene Weg zur Fahrkarte. Für die Bahnunternehmen lohnt der Verkauf an vielen Stationen nicht mehr, solange es dafür keine Zuschüsse gibt. Aber der LNVG ist dieser Service vor Ort wichtig, deshalb bezahlen wir die Unternehmen für den Verkauf am Schalter.

Henk Nieke und Ruben Rödel aus dem Bereich Verkehrswirtschaft erläutern detailliert die Hintergründe. Und sie geben einen Ausblick auf Veränderungen im Vertrieb zum Fahrplanwechsel 2021/22.

Nichts ist so beständig wie der Wandel. Die wettbewerbliche Vergabe von Verkehrsleistungen sorgt regelmäßig nicht nur für andere Bahnunternehmen auf den Strecken oder neue Fahrzeuge, sondern sorgt auch in einem weiteren, für den Service am Fahrgast wichtigen Bereich für Veränderungen: Beratung zu und Verkauf von Fahrausweisen.

Organisation und Verantwortung des Fahrscheinverkaufs

Die LNVG als Aufgabenträger schließt mit den jeweiligen Eisenbahnunternehmen, die die Ausschreibung gewinnen konnten, einen Verkehrsvertrag ab. In diesem werden unter anderem auch Mindestanforderungen an den Vertrieb, also den Verkauf von Tickets gestellt. Seit einigen Jahren ist die Verantwortung im stationären Verkauf, also über Fahrausweisautomaten (FAA) und Agenturen mit persönlicher Beratung, klar geregelt: Je Station ist genau ein Eisenbahnunternehmen für den Fahrscheinverkauf zuständig. Dabei kann die Leistung immer selbst erbracht oder an einen Dienstleister vergeben werden.

Beim Automatenverkauf ist an jeder niedersächsischen Station mindestens ein Automat vorzuhalten, an deutlich größeren Stationen, dem Bedarf sowie der baulichen Situation entsprechend, auch mehr. Die technischen Anforderungen werden mit jeder Ausschreibung aktualisiert und an die Entwicklung angepasst, beispielsweise durch die Einführung neuer Zahlungsmittel.

An mittleren und großen Stationen werden personenbediente Vertriebsstellen für eine persönliche Beratung und den Verkauf gefordert. Als Richtwert werden dabei vor allem Ein- und Aussteigerzahlen von mindestens 1.000 Fahrgästen pro Tag sowie der Abstand zum nächsten Haltepunkt mit personenbedientem Verkauf herangezogen. Je nach Stationsgröße variiert die Mindestöffnungszeit zwischen wöchentlich 35 Stunden (Montag bis Freitag) bis zu 90 Stunden, verteilt auf alle sieben Wochentage. Die Beratung erfolgt durch qualifiziertes Personal. An großen Bahnhöfen werden zusätzliche Anforderungen an die Qualität gestellt: Z. B. wird ab 75 Wochenöffnungsstunden oft eine maximal zulässige Wartezeit je Kunde oder ein exklusiver Schalter nur für Nahverkehrskunden gefordert, und Nebengeschäft ist nur in geringem Umfang gestattet.

Die Eisenbahnunternehmen sind frei in der Entscheidung, wie sie die aufgestellten Anforderungen an Beratung und Verkauf erfüllen. Eine Festlegung durch die LNVG auf ein bestimmtes, unternehmensbezogenes Produkt, wie ein DB-Reisezentrum, ist aus wettbewerblichen Gründen nicht möglich.

Das liebe Geld: Die Fahrgeldeinnahmen bilden eine wesentliche, unverzichtbare Finanzierungssäule des SPNV. Es gilt als Allgemeinplatz, dass der Verkauf dieser Fahrscheine selbst auch Kosten verursacht, im Normalfall sind das aber nur einige Prozent vom Ticketwert. Der von Fahrgast- oder auch Seniorenverbänden oft gewünschte Verkauf durch Personal in einer Verkaufsstelle ist allerdings deutlich teurer:
Am teuersten ist der Verkauf durch eigens dafür eingesetztes Personal, wie zum Beispiel in Reisezentren. Der Tariflohn für Reiseverkehrskaufleute liegt einschl. der Arbeitgeberanteile derzeit bei 40.000 bis 45.000 Euro jährlich. Zusammen mit der Miete der Geschäfts- und zugehörigen Sozialräume, Strom und Nebenkosten, Technik, Kosten für Urlaubsvertretungen, Zahlungsmittelentgelten und allfälligen Weiterbildungen kommen selbst bei Stellen, wo nur ein Personal eingesetzt werden soll, schnell sechsstellige Beträge pro Jahr zusammen.

Ein vertiefter Prüfbedarf besteht daher, wenn eine solche Verkaufsstelle regelmäßig Fahrkarten für weniger als 10.000 Euro im Monat umsetzt. Denn dann kostet schon der Verkauf der Fahrkarten mehr als die Einnahmen, für den eigentlichen Fahrbetrieb bliebe gar nichts mehr übrig. Leider ist diese Umsatzgrenze an kleineren Vertriebsstandorten schon heute von Relevanz.

Merklich günstiger im Betrieb sind Agenturen. Dort findet der Verkauf in einem anderen Geschäft statt, so dass nur ein (meist geringer) Teil der Kosten auf den Fahrscheinverkauf entfällt. Im Zuge des Geschäftesterbens sind jedoch gerade in ländlichen Regionen immer schwerer geeignete Geschäftspartner zu finden, die dann auch die entsprechende Beratungsqualität sicherstellen können. Insbesondere Reisebüros, die klassischen Agenturisten, werden immer seltener. Daher kommt zunehmend die zweite Alternative zum Zuge:

Einen recht neuen Vertriebsweg stellen Video-Agenturen dar. Hierbei handelt es sich um Fahrscheinautomaten, die mit Videotechnik und einem Breitbandinternetanschluss ausgestattet sind und sich in der Regel in kleinen Einhausungen befinden. Kunden, die einen Beratungswunsch haben, können sich so in einem angenehmen Gesprächsumfeld direkt von echten Mitarbeitern in einer Zentrale beraten lassen und sich ihr Ticket und die Verbindung am Gerät ausdrucken lassen. Das spart nicht nur Personalkosten, sondern auch Mieten usw., außerdem lässt sich das Personal besser disponieren. Das Vertriebssortiment entspricht dem, wenn Personal vor Ort tätig ist, und die Fahrgäste müssen auch nur beim Bezahlvorgang selbst tätig werden. Auch die Beratung wird angeboten, und oft ist auch die Entgegennahme von Bescheinigungen etc. möglich. Die Video-Agentur bietet daher denselben Leistungsumfang wie eine Agentur. Dieses Format wird ergänzend zu Ticketautomaten eingesetzt, an Standorten, an denen keine Präsenzagenturen existieren. An einigen Stationen werden sie auch als Ersatz für aufgegebene Präsenzagenturen eingesetzt, wo sich aufgrund der strukturellen Veränderungen im Einzelhandel keine Agenturpartner im Bahnhofsumfeld finden lassen. Auch dieses Format ist deutlich teurer als der Verkauf an Automaten, kann aber an kleineren Standorten dennoch eine Beratung ermöglichen.

Übrigens: Ausfälle und Störungen der Vertriebseinrichtungen führen zu Abzügen im Verkehrsvertrag. Dieses Vorgehen ist notwendig, um im Sinne der Fahrgäste Anreize für eine hohe Qualität und Erreichbarkeit der Verkaufsstellen zu gewährleisten.

Wenngleich die LNVG als Aufgabenträger für den Nahverkehr verantwortlich ist, fordern wir in neueren Verträgen häufig auch den Verkauf von Fernverkehrsfahrscheinen. So erhalten Fahrgäste, die sich auf ihrer Reise im Nah- und Fernverkehr bewegen, Beratung und Verkauf für ihre gesamte Route „aus einer Hand“. Der Verkauf von Fernverkehrsfahrscheinen bleibt dabei in der Verantwortung der DB Fernverkehr.

Veränderungen zum Fahrplanwechsel 2021/22

Regio-S-Bahn Bremen/Niedersachsen (RSBN), NordWestBahn GmbH - Betriebsaufnahme: Dezember 2021

Die Betriebsaufnahme im RSBN-Netz erfolgt in zwei Stufen, zu den Fahrplanwechseln im Dezember 2021 und 2022. Damit einher geht ein sukzessiver Austausch aller alten Automaten durch Neugeräte, an denen zukünftig auch Fernverkehrstickets verkauft werden. Der personenbediente Verkauf wird auf zwei zusätzliche Standorte ausgeweitet. Bereits Mitte 2021 wurde das neue Kundencenter der NordWestBahn im Bremer Hauptbahnhof eröffnet, in dem Fahrgäste Beratung und Tickets zum Nah- und Fernverkehr erhalten. Ganz neu wird in dem Netz das Format der „Video-Agentur“ ab Dezember 2022 an voraussichtlich sechs Standorten eingeführt.

Dieselnetz Niedersachsen Mitte (DNM), Regionalverkehre Start Deutschland GmbH (Start) - Betriebsaufnahme: Dezember 2021

Insgesamt 43 brandneue Automaten wird die DB-Tochtergesellschaft den Fahrgästen an den Stationen des DNM zur Verfügung stellen. Durch die mittlerweile übliche Online-Anbindung ist auch eine Fahrplanauskunft in Echtzeit möglich. An 15 Stationen entlang des Netzes können sich Fahrgäste persönlich in Agenturen, Reisezentren und zwei Videoreisezentren beraten lassen. Die Start ist dabei für den Betrieb von sechs Einrichtungen zuständig.

An den stationären Vertriebseinrichtungen der Start stehen den Fahrgästen neben den jeweils gültigen Nahverkehrstarifen auch Fahrscheine des Fernverkehrs der DB zur Verfügung.

Station Wilhelmshaven (Weser-Ems-Netz, NordWestBahn GmbH)

Die NordWestBahn hat sich in einer freien unternehmerischen Entscheidung dazu entschlossen, das von ihr selbst betriebene Kundencenter in der Nordseepassage in Wilhelmshaven zu schließen und die im dazugehörigen Weser-Ems-Verkehrsvertrag geforderte Pflicht zum Betrieb einer personenbedienten Vertriebsstelle über einen Agentur-Partner zu gewährleisten. Die im Verkehrsvertrag vorgeschriebenen Mindestöffnungszeiten und weitere Qualitätsmerkmale gelten dabei auch für den neuen Agentur-Partner, die Bahnhofsbuchhandlung Ludwig.
Der bislang auf freiwilliger Basis verkaufte Fernverkehrstarif wird hingegen nicht mehr angeboten. Derzeit finden Gespräche zwischen der LNVG und der NordWestBahn statt, den Fernverkehrstarif über die Automaten in Wilhelmshaven und den übrigen Ticketautomaten im Weser-Ems-Netz anzubieten.

Henk Nieke / Ruben Rödel

Cookies sind für ein korrektes Funktionieren der Webseite notwendig. Außerdem nutzen wir auf dieser Webseite Cookies zur Optimierung der Inhalte mit Hilfe der statistischen Auswertung des Benutzerverhaltens. Klicken Sie auf „Cookies aktivieren", um Cookies zu akzeptieren und die Website zu besuchen. Klicken Sie auf "Cookies deaktivieren", um nur die technisch notwendigen Cookies zu aktivieren.