760 Millionen Euro für Züge einer neuen Generation

Land kauft 34 neue Züge für den Regionalverkehr in Niedersachsen

Niedersachsen bekommt 34 neue elektrische Doppelstocktriebzüge vom Typ Coradia Stream HC für das Expresskreuz Bremen/Niedersachsen (EBN). Das Netz verbindet Norddeich-Mole, Wilhelmshaven, Oldenburg, Bremen, Hannover, Bremerhaven und Osnabrück. Die Landesnahverkehrsgesellschaft Niedersachsen (LNVG) hat den insgesamt rund 760 Millionen Euro schweren Auftrag jetzt an Alstom vergeben. Das Unternehmen hat sich in einem europaweiten Wettbewerb durchgesetzt. Ab Dezember 2024 sollen die Züge rollen – mit bis zu Tempo 160.

Finanziert werden die Züge mit 420 Millionen Euro aus Fördermitteln des Niedersächsischen Wirtschaftsministeriums für den Schienenpersonennahverkehr (SPNV) und Mitteln der LNVG. In dem Paket ist auch ein neues Service-Center zur Instandhaltung der Züge enthalten. Niedersachsens Verkehrsminister Dr. Bernd Althusmann: „So viele neue Züge hat Niedersachsen noch nie auf einen Schlag bestellt. Diese Investition aus Mitteln des Landes setzt ein deutliches Zeichen: Wir wollen den Bahnverkehr weiter stärken. Wir setzen auf moderne barrierefreie Mobilität und Klimaschutz.“ Und Althusmann ergänzt mit Blick auf Alstom: „Die Beschaffung der Züge ist nicht nur eine gute Nachricht für Fahrgäste, Mobilität und Klima in Niedersachsen, sondern auch für unseren Industriestandort und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am Standort Salzgitter.“

Carmen Schwabl, Sprecherin der Geschäftsführung der LNVG, wünscht sich von der Bahnindustrie allerdings mehr Flexibilität – denn eigentlich hätten die Züge schon ab Dezember 2023 rollen sollen. Schwabl: „Die Angebote, die die Industrie ursprünglich gemacht hat, waren unzureichend. Das waren allesamt Fahrzeuge „von der Stange“. Gebraucht werden aber Triebzüge, die sich zum Beispiel schnell kürzen oder verlängern lassen, um flexibler einsetzbar zu sein.“ Die LNVG-Geschäftsführerin fordert: „Die Hersteller müssen endlich stärker auf die Wünsche der Kunden eingehen.“ Niedersachsen ist einer der großen Besteller von Schienenfahrzeugen in Deutschland, die LNVG ist Eigentümerin von 385 Lokomotiven, Triebzügen und Wagen. Dieser Fahrzeugpool ist der größte unter allen in den Bundesländern.

Fachwelt neugierig auf Dostos der LNVG

„Die Fahrzeuge sind Blaupause für neue Doppelstockzüge in Deutschland“, sagt Thomas Nawrocki, Leiter des Fahrzeugmanagements der LNVG. „Wir bekommen schon jetzt zahlreiche Anfragen aus der Branche.“ Nawrocki beschreibt wichtige Punkte, die das Projekt besonders machen.

  • Flexible Anordnung der Wagen:

Mit den neuen Zügen will die LNVG auch ein neues Konzept auf dem EBN fahren. Die Züge der Linie RE 1 werden in Oldenburg geteilt, beziehungsweise wieder gekuppelt. Ein Teil fährt ab Oldenburg weiter nach Norddeich-Mole, der andere nach Wilhelmshaven. Damit bekommt die Hafenstadt wieder eine Direktverbindung nach Hannover. "Das sogenannte Flügeln der Züge sei technisch kein Problem," sagt Nawrocki. Aber: „Die Industrie hat uns zunächst nur Triebzüge angeboten, die aus zwei gleich langen Einheiten bestanden hätten. Wir brauchen aber einen langen Zugteil für die Strecke nach Norddeich-Mole und einen kurzen Zugteil nach Wilhelmshaven.“ Erst nach langen Gesprächen konnte diese Forderungen der LNVG in die Angebote der Industrie eingearbeitet werden. Nawrocki: „Jetzt können wir sehr flexibel Züge bilden. Das beginnt bei drei Wagen und reicht bis zu zwei gekuppelten Einheiten mit bis zu 10 Wagen und über 1.000 Plätzen.“

  • Mehr Barrierefreiheit und mehr Komfort:

„Der Coradia Stream HC wird der erste Doppelstockzug in Norddeutschland sein, bei dem Fahrgäste beim Ein- und Aussteigen keine Stufen mehr überwinden müssen“, sagt Nawrocki. Der großzügige Rollstuhlbereich kann von den Nutzern ohne fremde Hilfe erreicht werden. Außerdem hat die LNVG komfortable Sitzabstände, großzügige Mehrzweckbereiche und Fahrradbereiche, die je nach Jahreszeit vergrößert oder verkleinert werden können sowie hohe Kapazitäten für Gepäck vorgegeben. Im Oberstock entsteht mehr nutzbarer Platz für die Fahrgäste, weil die Züge nach neuen europäischen Vorschriften für die Außenmaße gebaut werden, das so genannte Lichtraumprofil DE3.

  • Mehr Informationen für Fahrgäste:

Displays außen am Zug werden anzeigen, wie viele freie Sitzplätze es in den jeweiligen Wagen gibt. Reisende werden diese Daten vor Reiseantritt auch über eine App abrufen können. Außerdem gibt es innen dynamische Anzeigen für die Fahrgastinformation mit Zuglauf, Echtzeitinformation und Anschlussverbindungen auf den Unterwegsbahnhöfen. Die EBN-Fahrzeuge verfügen über WLAN und Videoüberwachung.

  • Züge sollen besonders leise sein:

Nawrocki: „Wir haben vom Hersteller verlangt, die leisesten Regionalzüge Deutschlands für uns zu entwickeln. Die geringen Geräusche der Fahrzeuge werden neue Maßstäbe setzen.“ Im Innenraum soll es – je nach Geschwindigkeit – Werte zwischen 61 bis 68 dB[A] geben. In der Abstellung werden Werte zwischen 45 bis 69 dB[A] erreicht. Von diesen geringen Außengeräuschen – die etwa einem modernen Staubsauger entsprechen – werden besonders die Anwohner neben den Abstellanlagen der Fahrzeuge profitieren.

  • Komplettpaket mit Service-Center und Ersatzteilgarantie:

Alstom baut die Züge und ist gleichzeitig 30 Jahre für deren Instandhaltung verantwortlich. Ebenso muss Alstom über 30 Jahre für Ersatzteile sorgen, selbst, wenn dafür Teile nachgefertigt werden müssen. Diese Vertragsgestaltung bedeute mehr Verlässlichkeit für die Fahrgäste. Nawrocki erläutert: „Der Hersteller garantiert uns, dass immer genügend Fahrzeuge zur Verfügung stehen, um wie geplant zu fahren.“

Das Service-Center, das Alstom baut, wird eine hochmoderne Anlage, besonders mit Blick auf Umweltschutz und Energieeffizienz. Die LNVG hat dabei auch besonders strenge Vorgaben für den Lärmschutz gemacht. Arbeiten, die mit Lärm verbunden sind, dürfen nur in der Werkstatthalle stattfinden. Rangiert wird nicht mit einer Diesellok, sondern mit einem elektrisch angetriebenen Rangiergerät. Die Gleisanlagen sollen so gebaut werden, dass etwa bei Weichen und Bögen das Kurvenquietschen vermieden wird. Die Grundstücksauswahl lag ebenfalls in der Verantwortung von Alstom. Das Unternehmen hat sich für eine Fläche in Bremen entschieden. Die Pläne für das Areal im Bereich Inlandshafen/Reitbrake werden von den Bremer Behörden geprüft werden.

FAQ - häufig gestellte Fragen

  • Wie ist der Energieverbrauch der Züge?

Der Energieverbrauch beträgt rund 9 kWh pro km für eine Doppeltraktion unserer Triebzüge mit acht Wagen zwischen Hannover und Bremen. Zum Vergleich: Ein 7-Wagenzug, der dort derzeit eingesetzt ist, verbraucht etwa 15 kWh pro km.

  • Die Steuerwagen der Triebzüge sind doppelstöckig. Warum nicht auch alle Mittelwagen?

Auf dem Dach der einstöckigen Mittelwagen sitzt der Antrieb der Fahrzeuge. Die hohe nötige Platzzahl für Fahrgäste wird durch die doppelstöckigen Steuerwagen erreicht.

  • Warum gibt es in den neuen Zügen ein Reservierungssystem?

Im Nah- und Regionalverkehr mit Zügen ist ein Reservierungssystem eher unüblich. Wir wollen es im EBN einführen, um mehr Komfort zu bieten. Viele Fahrgäste legen dort weite Strecken zurück.

  • Wie funktioniert die App, die über die freien Sitzplätze informiert?

Fahrzeuge haben ein automatisches Fahrgastzählsystem. Hier werden die Ein- und Aussteiger pro Wagen in Echtzeit erfasst und ausgewertet. Dadurch ist eine permanente Auswertung des Besetzungsgrades möglich. Diese Daten können vom EVU in einer App bereitgestellt werden.

  • Haben die Züge eine 1. Klasse?

Ja, 12 Plätze pro Triebzug, in Doppeltraktion dann 24. Die LNVG hatte ursprünglich nur 2. Klasse gefordert, um hohe Sitzplatzkapazitäten zu erreichen. Allerdings ist es mit dem Angebot von Alstom möglich, auch die 1. Klasse einzurichten.

  • Wie schnell lassen sich die Züge kuppeln und wenden?

Die technische Zeit für das Kuppeln von zwei neuen Coradia-Stream-HC-Triebzügen beträgt 80 Sekunden. Zum Vergleich: Beim LINT 41 dauert es heute cirka 120 Sekunden. Die Zeit für das Trennen zweier Züge sinkt von 90 Sekunden auf 64 Sekunden. Die Fahrtrichtung der neuen Triebwagen zu ändern, wird 70 Sekunden dauern, heute sind es etwa 130 Sekunden. Zu den genannten „technischen Zeiten“ kommen im Betrieb zum Beispiel noch Wegezeiten der Triebfahrzeugführer hinzu.

Dirk Altwig

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