„Zug fahren ist ein Stück Freiheit“

Carmen Schwabl seit fünf Jahren Sprecherin der LNVG-Geschäftsführung

Seit fünf Jahren ist Carmen Schwabl Sprecherin der LNVG-Geschäftsführung. Im Interview mit LNVG-aktuell wirft sie einen kritischen Blick auf die Branche. Sorge macht Schwabl ein „Kulturwandel“ bei Eisenbahnunternehmen und Industrie: „Die Unternehmen wollen unsere Aufträge. Aber wenn sie sie haben, mangelt es an Ehrgeiz, die Verträge zu erfüllen.“ Und Schwabl wagt einen Blick in die Zukunft und erläutert, wo die LNVG in fünf Jahren stehen wird.
 

Frau Schwabl, Sie erinnern sich doch sicherlich noch an den ersten Tag bei der LNVG und Ihre Erwartungshaltung. Ist die Arbeit bei der LNVG so, wie Sie sie sich damals vorgestellt haben?

Ja, im Wesentlichen schon, die LNVG war mir ja aus der Zeit als zuständige Referatsleiterin im Wirtschaftsministerium nicht fremd. Die Kolleginnen und Kollegen sind verantwortungsvoll, sehr fachkompetent, hochmotiviert und schauen über den Tellerrand. Sie binden mich in die Projekte ein und wir ringen mit den anderen Beteiligten um gute, nachhaltige und zukunftsträchtige Lösungen für die Fahrgäste. Die Projekte sind anspruchsvoll. Und vor allem sind die jeweils beteiligten Dritten stets für Überraschungen gut. Ich hätte auch nicht gedacht, dass es so viele Veranstaltungstermine sein werden. Aber auch diese Termine sind spannend, allein weil man immer wieder auf neue Menschen mit besonderen Charakteren trifft. Heraus sticht da natürlich die „Weltpremiere Wasserstoff“, unser Projekt, mit dem wir die ersten Züge der Welt mit Brennstoffzellenantrieb initiiert haben.

Sie haben mal gesagt „Zug fahren ist für mich ein Stück Freiheit.“ Wie meinen Sie das?

Meine Eltern hatten lange kein Auto. Unsere erste große Reise haben wir aus Neustadt am Rübenberge mit dem Zug nach Vilpian in Italien gemacht, da war ich fünf Jahre alt. Das hat mich schwer beeindruckt, bis heute. Man bekommt die vielfältige Landschaft präsentiert, kann den Weg genießen, es wechseln die Mitreisenden und was sie tun – Reden, Essen, Lesen, Lernen, Stricken, Musik hören, Schlafen. Und für mich sehr wichtig, man kann sich selbst während der Fahrt im Zug bewegen oder einfach den Platz wechseln. Ich fahre fast immer mit dem Zug zur Arbeit. Da ist noch mal Ruhe, über den Tag nachzudenken.

Mit Verlaub, viele Pendler sind ja eher frustriert. Verspätungen, Ausfälle, überfüllte Züge …

Hallo? Ich denke, das ist hier ein freundliches Gespräch zu meinem „Jubiläum“? Also, der Reihe nach: Verspätungen. Häufige Ursachen für Verspätungen sind zum Beispiel technische Störungen an der Strecke, Signale oder Weichen. Oder Nahverkehrszüge müssen warten, weil ICEs und Intercitys vorbeigelassen werden müssen. Kurzfristige Zugausfälle liegen oft an fehlendem Personal bei den Eisenbahnunternehmen oder in den Werkstätten. Und solange der Bund Strecken und Bahnhöfe nicht ausbaut, können wir auch nicht mehr oder längere Züge einsetzen. Was wir übrigens gerne tun würden.

Die LNVG bestellt und bezahlt. Sind Sie mit dem zufrieden, was Sie für das Geld bekommen?

Nein, wir sind oft nicht zufrieden. Wir stehen den Unternehmen auf den Füßen. Und natürlich kürzen wir Zahlungen, wenn Leistungen nicht erbracht werden und fordern auch sehr spürbare Vertragsstrafen. Übrigens behalten wir dieses Geld nicht einfach nur ein, sondern investieren es in Planungen von Infrastrukturprojekten. Die grundsätzlichen Bedingungen sind aber festgeschrieben: Wir sind für die Finanzierung verantwortlich, wir bestellen und bezahlen. Die Bahnunternehmen, übrigens alles profitorientierte Firmen, machen den Betrieb. Das ist die ureigene Verantwortung der Unternehmen. Wenn Sie ein Taxi bestellen, sind Sie doch als Kunde auch nicht dafür verantwortlich, den Fahrer zu besorgen.

„Bei der WestfalenBahn fallen praktisch keine Züge wegen Personalmangels aus. Auch der Krankenstand ist dort vorbildlich niedrig. Ich würde mir wünschen, das Management anderer Bahngesellschaften würde sich da was abgucken.“

 

Dies fehlt ja ganz wörtlich, das Fahrpersonal.

Es gibt in Niedersachsen tatsächlich eine erstaunliche Ausnahme: Bei der WestfalenBahn fallen praktisch keine Züge wegen Personalmangels aus. Auch der Krankenstand ist dort vorbildlich niedrig. Ich würde mir wünschen, das Management anderer Bahngesellschaften würde sich da was abgucken. Wir haben im Moment eine merkwürdige Situation: Die Eisenbahnerinnen und Eisenbahner machen vor Ort mit viel Einsatz ihren Job. Sie verstehen zweifelsfrei ihr Handwerk und haben viele Ideen. Aber wir haben den Eindruck, das Management vieler Unternehmen lässt die eigenen Leute im Regen stehen. Häufig haben die Muttergesellschaften ihren Sitz ja auch im Ausland und Distanz ist nicht immer gut, insbesondere, wenn man zuhören sollte. Es gibt seit Jahren Personalmangel beim Zugpersonal, beim Werkstattpersonal, auf den Stellwerken. Das treibt die Krankenquoten nach oben. Auf der anderen Seite setzen die Manager der Unternehmen auf Wachstum und bewerben sich auf neue Strecken. Keine Überraschung, da gibt’s dann auch nicht genug Personal. Mein Eindruck ist, dass es in der Bahnbranche gerade einen Kulturwandel gibt: Die Unternehmen wollen unsere Aufträge. Aber das ursprüngliche Kernziel der Unternehmen, dann ihre Leistung oder ihr Produkt auch bis zum Fahrgast zu bringen, das scheint uns zu schwinden.

Könnten Sie das mal illustrieren?

Zwei Erlebnisse: Es wurde bereits von zwei sehr etablierten Unternehmen versäumt, sicherzustellen, dass es über die Weihnachtstage und Neujahr genügend Werkstattkapazitäten und Werkstattpersonal gibt. Folge: Fahrzeuge wurden nicht gewartet, Mängel nicht behoben. Diese Verzögerung hat über Monate dazu geführt, dass es nicht genügend Fahrzeuge in den Netzen gab. Wir haben dann mit den Betroffenen Ersatzkonzepte entwickeln müssen und auch Reservefahrzeuge aus unserem Pool zur Verfügung gestellt. Aber das Management muss doch selbst den Anspruch haben, dass die Züge rollen! Das geht doch an die Berufsehre. Vielleicht muss man das heute mit einem schicken englischen Begriff belegen, damit es in den Chefetagen verstanden wird …

Die LNVG wollte ab Ende 2024 im Expresskreuz Bremen Niedersachsen brandneue Doppelstocktriebzüge einsetzen. Das verzögert sich, weil der Hersteller nicht pünktlich liefert.

Das ärgert mich sehr. Das Expresskreuz ist das erste Projekt, das voll in meine Verantwortung fällt. Da wollen unsere Bereiche Fahrzeugmanagement und Angebot gute Ideen für die Züge und die Strecken umsetzen. Wir wollen den Fahrgästen ein Angebot machen, das an Intercitys heranreicht. Und nun bekommen wir nur 10 von 34 Zügen pünktlich. Ja, es gab die Pandemie und in der Ukraine tobt Krieg. Aber das Projekt hatte sich ja schon ein Jahr verzögert, weil die Industrie uns zunächst nur Angebote von der Stange gemacht hat, mit denen wir nichts anfangen konnten. Diese zusätzliche Verzögerung von einem Jahr wäre nicht nötig gewesen. Wir brauchen von der Bahnindustrie mehr Flexibilität bei Kundenwünschen und mehr Initiative, innovative Vorschläge zu machen.

„Wir haben die ersten Wasserstoffzüge der Welt in unserem Fahrzeugpool. Aber die Entwicklung ist nur zustande gekommen, weil wir vor über zehn Jahren von der Industrie eine Alternative zum Diesel gefordert haben.“

 

Was wäre denn innovativ?

Nehmen Sie das Beispiel Alternative Antriebe. Wir haben die ersten Wasserstoffzüge der Welt in unserem Fahrzeugpool. Aber die Entwicklung ist nur zustande gekommen, weil wir vor über zehn Jahren von der Industrie eine Alternative zum Diesel gefordert haben. Und wir haben auch gleich die Abnahme von Zügen zugesichert. Da hat quasi die öffentliche Hand für die Industrie Netz und doppelten Boden aufgestellt. Wenn wir das nicht getan hätten, würde es diese Züge heute noch nicht geben. Innovationskraft stelle ich mir anders vor. Digitalisierung könnte den Personalmangel mildern, etwa um die Fahrgastinformation zu verbessern und Anschlüsse zu sichern. Auch hier kommt von der Industrie immer erst: Gebt uns Fördergelder …

„Ich habe den Eindruck, als LNVG hat uns die Pandemie noch ein Stück stärker zusammengeschweißt. Das ist mein persönlicher Höhepunkt meiner ersten fünf Jahre bei der LNVG: Wenn es drauf ankommt, dann steht die LNVG!“

 

Sie haben schon die Pandemie angesprochen. Die hat Ihre Arbeit sicher auch geprägt.

Klar. Wir haben uns hier technisch unheimlich schnell auf die neue Situation eingestellt. Es hat nicht einen Tag gegeben, an dem wir nicht handlungsfähig gewesen wären, auch als fast alle im Homeoffice waren. Da möchte ich den Kolleginnen und Kollegen ein riesiges Kompliment machen, das hat funktioniert. Und da war auch der Kämpfergeist der LNVG zu spüren, wir packen an. Wir haben die Liquidität der Verkehrsunternehmen in Niedersachsen durchgehend sichergestellt, auch wenn die Rechtslage aus Berlin manchmal mit heißer Nadel gestrickt war. Ich habe den Eindruck, als LNVG hat uns die Pandemie noch ein Stück stärker zusammengeschweißt. Das ist mein persönlicher Höhepunkt meiner ersten fünf Jahre bei der LNVG: Wenn es drauf ankommt, dann steht die LNVG!

Blicken wir auf Ihr zehnjähriges Dienstjubiläum 2028. Was möchten Sie bis dahin mit der LNVG schaffen?

Für die Fahrgäste eine wesentliche Verbesserung der Kommunikation und Information während der Zugfahrt, gerade zum Thema Anschlüsse. Daran arbeiten wir. Eine Neukonzeption der heutigen Dieselnetze steht an, sei es durch die Elektrifizierung von Strecken oder durch alternative Antriebe bei den Zügen. Auch Linienverlängerungen und Angebotsverbesserungen streben wir an. Und in der Hoffnung, dass die Infrastruktur es 2028 hergibt, würden wir auf den RE-Strecken längere Züge und einen dichteren Takt bieten. Und mein Ziel für die Kolleginnen und Kollegen: Noch mehr digitale Hilfsmittel, insbesondere Software, die die Arbeit erleichtert.

Sie haben uns am Anfang erzählt, wie spektakulär Sie es fanden, mit dem Zug nach Italien zu fahren. Welche wird Ihre nächste große Zugreise sein?

Ziel wird die Dovrebahn in Norwegen, die Strecke Oslo-Trondheim und retour, sein. Die Bergenbahn, Flambahn und Rorosbahn haben wir bereits genossen. Spektakuläre Ausblicke! Die Strecken beeindruckten mich noch mehr als die Fahrten mit der Rhätischen Bahn in der Schweiz – und das will was heißen.

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